Stellensuchende zwischen Pragmatische Carriereplanungnaiver Selbstverwirklichung und angstvoller Anpassung

„Als über Fünfzigjährige sollten Sie es sich sehr gut überlegen, bevor Sie Ihren sicheren Job aufgeben.“

„Ihr Alter und ihre Familiensituation spielen keine Rolle, folgen Sie Ihrem Herzen und das Universum wird Sie in Ihren Schritten unterstützen“

Hinter diesen widersprüchlichen Ratschlägen stehen zwei total verschiedene Erzählungen, die mir beide in der Beratungsszene begegnen. Im Allgemeinen höre ich die erste eher von Berufs- und LaufbahnberaterInnen und die zweite eher von Life-Coaches. Beide Erzählungen bieten Chancen und Gefahren. Um sie zu kombinieren braucht es eine Form von radikalem Pragmatismus.

Der Arbeitsmarkt ist ja nicht nur in den Medien ein wichtiges Thema. Wer von einem Stellenwechsel betroffen ist, oder sich aus freien Stücken beruflich neu orientieren will, stößt auf eine uferlose Menge an Artikeln, Ratgeberliteratur und Beratungsangeboten.

Dennoch lassen sich die meisten Angebote auf eine von zwei Erzählungen zurückführen. Die erste Erzählung betont die Außenperspektive. Es werden Fakten zum Arbeitsmarkt vermittelt und Tipps gegeben, wie man sich richtig verhalten soll, um erfolgreich im Konkurrenzkampf mit anderen Bewerbern zu bestehen. Ein möglicher Name für die zweite Erzählung könnte „die selbstbezogene“ sein. Hier wird die Kraft der eigenen Wünsche beschworen. Die Vorstellung durch Eigeninitiative jeden Traum umsetzen zu können ist natürlich naiv und wird umso esoterischer, je heftiger sie vertreten wird.

Jede Erzählung spricht einen bestimmten Menschentyp an und oft kämpfen die beiden Sichtweisen auch in einer Person mit wechselndem Erfolg um die Deutungshoheit. Beide Erzählungen können in bestimmten Situationen unproduktiv oder sogar gefährlich werden. Die Außenperspektive ist extrem entmutigend für diejenigen, die sogenannten „Risikogruppen“ angehören, also das falsche Alter, das falsche Geschlecht, die falsche Herkunft oder die falsche Ausbildung haben. Schnell wird dann eine statistische Wahrheit zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Die „selbstbezogene“ dagegen, kann Menschen in einen Kreislauf führen, in dem sie sich mehr und mehr selber überschätzen. Er ist von immer größeren Wünschen mit immer geringerer Möglichkeit sie umzusetzen geprägt.

Beide Erzählungen bergen auch ein Potential und gerade in ihrer Kombination liegt viel Kraft. Obwohl sie in der Literatur und in den Beratungsangeboten als Gegensatzpole aufscheinen, werden sie in der Praxis von vielen erfahrenen und erfolgreichen Beraterinnen und Beratern kombiniert. Die Synthese der beiden Sichtweisen würde ich als „radikalen Pragmatismus“ bezeichnen. Man erkennt ihn daran, dass tatsächlich zuerst von den ganz eigenen Werten, Vorstellungen, Bedürfnissen und Qualitäten ausgegangen wird. Erst in einem zweiten Schritt wird das entstandene Profil auf kreative Weise mit der vielfältigen Arbeitswelt verknüpft. Dabei finden sich oft Möglichkeiten und werden Nischen herausgearbeitet, die sonst übersehen wurden wären. Bei diesem Prozess muss weder die Arbeitswelt, noch die eigene Begabung schöngeredet werden.