Schleichwege im Dschungel der ArbeitsweltWer heute eine Laufbahnberatung in Anspruch nimmt, will nicht mehr unbe­dingt auf dem schnellsten Weg “nach oben”. Die Arbeitswelt ist komplexer und vielfältiger geworden und die Frage nach dem Sinn der Arbeit und den eigenen Bedürfnissen und Sehnsüchten gewinnt in allen Bereichen an Gewicht. Der eigene Lebenslauf wird kontinuierlich neu und aktiv gestaltet und läuft nicht mehr – einmal eingespurt – geradlinig ab.

Wer auf seinem beruflichen Weg einmal aus dem Tritt kommt, findet heute ­Orientierungshilfe bei den öffentlichen Berufs-Informations-Zentren und ei­ner Schar privater Beratungsstellen. Gemäß dem Schweizerischen Verband für Erwachsenenbildung (SVEB) ist der Erwachsenanteil in der Berufs- und Laufbahnberatung in den letzten Jahren bis auf 50% angestiegen. Die Ziele ­dieser Ratsuchenden sind heute sehr viel weiter gesteckt und stellen ent­sprechend hohe Ansprüche an die BeraterInnen. Dazu beigetragen hat sicher auch die zunehmende Flexibilisierung der globalen Wirtschaft, die nicht nur Chancen bietet, sondern ArbeitnehmerInnen auch stark verunsichert. Die Postmoderne schenkt nicht nur neue Freiheiten, sondern schafft auch neue Schwierigkeiten.

Sinnvolles Arbeiten

So bin ich in meinen Beratungen und Kursen mit einer Vielzahl von ­Themen konfrontiert, die in der klassischen Berufsberatung kaum berück­sichtigt ­werden. Eines dieser Themen heißt “Ökologie”. Als wir vor 25 Jahren den Verein Oeko-Stellenbörse gründeten, wurde unsere Stellenvermittlung von Suchenden geradezu überrannt. “Ich möchte”, hörte ich immer wieder, “wenn ich abends nach Hause komme, das Gefühl haben, etwas Sinnvolles gemacht zu haben.” Durch diese Erfahrung hellhörig geworden, wurde ich aufmerksamer auf die oft unterschwelligen Bedürfnisse und Motivationen, die KlientInnen in der Berufsnavigation zeigen. Individuen reagieren wie sensible Seismographen auf Veränderungen in der Gesellschaft und ihre Träume und Sehnsüchte können eine Quelle der Motivation und Lebensenergie sein. Werden sie jedoch nicht beachtet, sind sie oft der Grund für unterschwellige Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. KlientInnen, die ihre Träume realisieren wollen, verlangen von einem Laufbahnberater mehr als nur einen Hinweis, in welchem Bereich sie sich bewerben sollen oder wie sie sich besser bewerben können. Auch wenn diese Menschen sich nicht unbedingt beruflich selbstständig machen, kreieren sie oft ihre neue Stelle oder die Projekte, in denen sie arbeiten, aktiv mit. Die Umsetzung ihres Traumes schafft Neuland und bringt sie an die Grenzen ihrer bisherigen Möglichkeiten.

Die drei Phasen der Berufsnavigation

Im Beratungsprozess unterscheide ich drei Phasen, die nicht bei allen KlientInnen in der gleichen Form und Intensität auftreten, aber doch ganz klar unter­schieden werden können. Die erste Phase ist geprägt von Hoffnungs­losigkeit und Frustration. Altes funktioniert nicht mehr. Neues ist noch nicht sichtbar. Die dabei auftauchenden Gefühle sind oft unangenehm.

Ratsuchende möchten meist so schnell wie möglich aus diesem Zustand heraus. PsychotherapeutInnen würden sich vielleicht auf die Suche nach dem Grund dieser Gefühle machen und dabei auf Ereignisse aus der Kindheit stoßen. Als Berater betrachte ich diesen Zustand vor allem als Energiepotenzial. Wird er unvoreingenommen erforscht, entsteht oft ein Zugang zu Zukunftsentwürfen, die mit den ganz existentiellen Bedürfnissen der Beratenden verbunden sind. Das Thema “Berufung” scheint auf. Dabei wird viel blockierte Energie frei.

Die zweite Phase der Beratung ist bestimmt vom Design dieser Zukunfts­entwürfe. Die Schlüsselbegriffe dieser Phase heißen “Kreativität” und “­Inspiration”. Der dabei entstehende Enthusiasmus kann durchaus etwas “beschwipst” machen. Verrückte Ideen haben hier ihren Platz und Wünsche, an deren Reali­sation wir in einem nüchternen Zustand niemals glauben ­würden, bekommen Raum.

Die Nagelprobe kommt dann in der dritten Phase. Hier geht es um die Umsetzung. Gelingt es uns, die Kreativität und den Enthusiasmus zu nutzen, um nachhaltige Veränderungsprozesse einzuleiten? Wenn diese Phase ­misslingt, endet die Arbeit in einer Katerstimmung. Der Teil in uns allen, der nicht an Veränderung glaubt, behält die Oberhand. In dieser dritten Phase der Beratung geht es um das Umsetzen von Zielen. Oft stoße ich auf die Haltung, dass das alles “einfach eine Sache der richtigen Planung” oder des “positiven Denkens” sei. Meine Erfahrung zeigt jedoch, dass es mehr um die Schlüsselqualitäten “Spontaneität” und “Konfliktfähigkeit” geht. Es ist meist nicht der oft zitierte “innere Schweinehund”, das heißt mangelnde Disziplin, die uns ­scheitern lässt, sondern es sind falsche Mythen und Vorstellungen.

Falsche Mythen und Vorstellungen

Wer die ausgetretenen Pfade verlässt, stößt an die Grenze der eigenen Vorstellungswelt. Die erste Euphorie weicht hier einer lähmenden Müdigkeit. Glaubens­sätze wie: “Arbeit ist etwas, das mühsam sein muss, sonst gäbe es ja keinen Grund, uns dafür einen Lohn zu bezahlen”, sind meist nicht bewusst und wir merken nicht, dass wir danach leben, solange wir den vorgegebenen Weg nicht verlassen. Einige dieser Glaubenssätze sind extrem tief in unserer Kultur verankert. Wie Kolumbus’ Seeleute Angst hatten, über den Rand der Welt in die Hölle zu stürzen, fürchten wir uns vor den Rändern unseres eigenen Weltbildes und sind der festen Überzeugung, dass dahinter das Ende lauert. Oft ist es eine anstrengende und dramatische Arbeit, seine tief verwurzelten Ansichten zu hinterfragen und neu auszurichten. Ein Schritt über den Rand unserer Vorstellung lässt uns nicht in die Hölle stürzen, sondern gibt uns die Möglichkeit, neue Kontinente zu entdecken.

Einer der interessantesten Mythen, der mir als Berater begegnet, heißt “die Wirtschaft”. Wir reden oft von ihr, als ob sie ein eigenständiges Wesen wäre. Wir hören dann alle möglichen Fachleute davon sprechen, dass die Wirtschaft dieses oder jenes brauche. Auf viele Menschen übt das eine lähmende Wirkung aus. Es wird dabei vergessen, dass die Welt der Erwerbsarbeit eine unendliche Vielzahl von Facetten aufweist.

Hier zeigt sich, dass sowohl den Ratsuchenden wie auch vielen BeraterInnen die Erfahrung in sozialen, ökologischen und kulturellen Projekten und mit alternativen Wirtschaftsformen fehlt. Dieses Wissen ist jedoch hilfreich, wenn es darum geht, falsche Glaubenssätze zu entlarven und die KlientInnen zu unterstützen, ihren Weg im Dschungel der Arbeitswelt auch abseits der Hauptverkehrsadern zu finden.

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