An den Scheidewegen des Lebens stehen keine Wegweiser. – Charlie Chaplin

Wege aus der Entscheidungs-Unfähigkeits-Trance

Manchmal tun wir uns fast alle schwer mit Entscheidungen, geraten geradezu in Panik. Oft löst sich die Zwickmühle auf, wenn es uns gelingt, das eine Thema hinter einem Dilemma zu finden.

Should I stay or should I go

Eigentlich fällen wir ja in jedem Moment völlig mühelos eine Entscheidung nach der anderen. Soll ich dieses oder jenes Menu aus der Speisekarte auswählen, diese oder jene Arbeit zuerst anpacken? Entscheidungen auf Schritt und Tritt…

In den Praxen von Coaches und BeraterInnen tauchen natürlich andere Arten von Entscheidungsprozessen auf. Solche mit schwereren Konsequenzen und weitreichenderen Folgen. Spätestens wenn Entscheidungsschwierigkeiten zu Stress und Panik führen, lohnt es sich jedoch genauer hinzuschauen.

Dämon der falschen Entscheidung

„Entscheidungs-Unfähigkeits-Trance“ nenne wir den Vorgang, der uns immer wieder in einen Zustand bringt, aus dem heraus wir keine sinnvollen Entscheidungen treffen können. Diese wird oft von einem Glaubenssystem ausgelöst, das unreflektiert im Hintergrund wirkt. Der Ablauf könnte etwa so aussehen:

Der Dämon tritt auf

Die Entscheidung wird in einem Prüfungsraum gefällt. Uns gegenüber sitzt der Dämon der falschen Entscheidung. Er ist Furcht einflößend und die Beklemmung, die uns in diesem Raum befällt, macht es schwierig, entspannt und lustvoll an Entscheidungen zu arbeiten. Diese Atmosphäre beeinflusst schon zum vorne herein die folgende Szene.

Er präsentiert uns zwei Möglichkeiten und diktiert uns, die Richtige zu wählen.

Natürlich ist dieses Setting falsch: Erstens ist es nicht gesagt, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt, zwischen denen wir uns entscheiden können. Zweitens wäre zu ergründen, warum wir uns überhaupt entscheiden müssen. Und drittens könnte es ja auch sein, dass es mehrere richtige, oder auch mehrere falsche Entscheidungen gibt. Das einfache entweder oder – das klassische Dilemma – nimmt uns vorschnell gefangen.

Wenn wir diese erste Voraussetzung nicht mutig hinterfragen, sind wir dem Dämon in die Falle getappt und erlauben ihm, seinen zweiten Trumpf auszuspielen. Er sagt: „Ich werde dir nicht sagen, welche Entscheidung die richtige ist“, er weiß es ja selbst nicht, „aber wenn du die falsche triffst, wird das schwerwiegende Folgen haben.“

Spätestens jetzt sind wir definitiv im Prüfungsstress: Wir werden Liste um Liste mit Pros und Contras erstellen, einzelne Punkte gewichten und versuchen, objektive Kriterien herauszuarbeiten. Dabei werden wir feststellen, dass bei jedem Durchgang ein anderes Resultat herauskommt. Die Gleichung will einfach nicht aufgehen! Es gilt auch hier wieder: Das Hinterfragen des Rahmens gibt uns die nötige Freiheit, sinnvoll zu agieren.

Stimmt es wirklich, dass es keine Hinweise gibt, welche Entscheidung die richtige ist? Oft gibt es eine „innere Stimme“ die sehr genau weiß, was gut für uns ist. Meist ist sie jedoch eher leise und unter Stress fast nicht wahrnehmbar. Das Beste was wir tun können, ist also erst mal zu entspannen und auf unser Körpergefühl zu hören. Angenehme Körperwahrnehmungen wie Wärme im Bauch oder ein Gefühl von Weite – also sogenannte somatische Marker – sind nachweislich gute Entscheidungshilfen.

Auch die zweite Annahme ist nicht unbedingt zutreffend: Meist können wir ganz gut mit der einen oder anderen Entscheidung leben. Es gibt bei allen Szenarien Aspekte, die uns glücklich machen können und solche, die uns unangenehme Momente bescheren. Jede Entscheidung hat ihren eigenen Preis. Viele Entscheidung können auch rückgängig gemacht werden, wenn wir merken, dass wir wirklich in eine falsche Richtung gegangen sind. Diese Umwege sind oft sogar wichtige Erfahrungen und haben ihren ganz eigenen Wert.

Das Thema hinter der Zwickmühle

Wenn es uns gelingt den Dämon der falschen Entscheidungen zu überwinden, eröffnet sich uns ein ganz neuer, spannender Raum. Jetzt geht es nicht mehr um die Frage: Richtig oder Falsch, sondern darum, welches Thema sich hinter der Fragestellung verbirgt. Hinter fast jeder „Entscheidungs-Unfähigkeits-Trance“ steckt ein Wachstumsthema. Dieses gilt es herauszuarbeiten.

Fallbeispiel:
Ein Klient beschäftigt die Frage, ob er seinen Job verlassen oder bleiben soll. Der erste Gedanke könnte sein: es geht hier um Sicherheit kontra Abenteuer. Das Thema dahinter war jedoch ein ganz anderes: Es fiel ihm schwer, sich gegen Ansprüche anderer durchzusetzen. Als einen Hauptgrund, warum er die Arbeit verlasen wollte, stellte sich heraus, dass ihm seine TeamkollegInnen immer wieder Arbeiten aufbürdeten, die er eigentlich gar nicht wollte (und auch nicht hätte machen müssen). Die zusätzlichen Aufgaben zwangen ihn zu lästigen Überstunden. Auf der anderen Seite gab es auch den Anspruch seiner Familie: Sein aktueller Job war recht gut bezahlt und seine Frau befürchtete, dass er in einem Anfall von Frust seine Kündigung einreichen könnte und nie mehr eine ähnlich gut bezahlte Tätigkeit finden würde. Egal wie er es wendete: Sein Thema war: Ich muss lernen, mich durchzusetzen.

Durchsetzungsvermögen war in diesem Fall also das Wachstumsthema hinter seinem Dilemma. Ob er es in der Auseinandersetzung mit seiner Frau oder mit seinen ArbeitskollegInnen angehen will, war dann immer noch eine Entscheidung, der Dämon löste sich aber im Moment dieser tieferen Erkenntnis in Luft auf. Es ist nicht mehr die Wahl zwischen zwei angstmachenden Optionen, sondern diejenige zwischen mehreren Möglichkeiten, die ihn alle persönlich wachsen lassen und damit seine Lebensqualität erhöhen.

Jetzt können wir auch das Gute hinter dem „Dämon der falschen Entscheidung“ sehen. Eigentlich forderte er nicht: „Entscheide dich zwischen A oder B“, sondern „Egal für welchen Weg du dich entscheidest, um einen Wachstumsprozess kommst du nicht herum.“ Er flößt uns Angst ein, weil er dieses eine Thema in seiner verhüllten Form repräsentierte. Wenn es uns gelingt, das Wachstumsthema bewusst zu machen und uns aktiv entscheiden, einen Schritt weiter zu gehen, gewinnen wir einen ganz neuen Handlungsspielraum.

Dieser Artikel ist 2003 in Kooperation mit Ulrike Harder http://praesenz-in-resonanz.de/sites/ulrikeharder.html entstanden und 2019 von mir neu überarbeitet worden.

Der Song „Should I stay or should I go“ von Clash kann auf Youtube angehört werden: https://www.youtube.com/watch?v=xMaE6toi4mk