Widerstand und Bewegung

Widerstand und Bewegung; Sich in einer Übung mit aller Kraft dagegen wehren, bewegt zu werden.

Zwei Strategien für den Einstieg in die Arbeitswelt

Narziss und Goldmund sind Freunde in einem Roman von Hermann Hesse. Sie verkörpern zwei Prinzipien, zwei Arten die Welt zu erfahren. Narziss tritt dem Leben planvoll, mit Verstand und Wissenschaftlichkeit entgegen. Er lebt eine sesshafte und festgefügte Sicht auf die Welt. Goldmund ist ständig auf Wanderschaft. Er lässt sich vom Gefühl und von der Ästhetik leiten, treibt mit offenen Sinnen durch’s Leben. Diese beiden Wege finden wir auch im Umgang mit der Arbeitswelt

Die Narziss-Strategie wird von den meisten offiziellen Stellen angepriesen. Für leistungswillige und gut angepasste Menschen kann sie tatsächlich sehr erfolgreich sein. Es gibt jedoch immer mehr Menschen – vor allem junge Erwachsene – die auf diesem Weg in die Arbeitswelt scheitern. Die Goldmund-Strategie wird meist intuitiv gewählt, sie geschieht eher, als dass sie sich planen lässt.

Die Narziss – Strategie

Narziss ist ein disziplinierter Mensch. Er funktioniert gut unter Druck. Für ihn ist die Arbeitswelt ein fertig gebautes gut funktionierendes Uhrwerk und er akzeptiert diese Sichtweise. Er weiß, dass es eine Reihe von fest definierten Regeln gibt und er hält sich daran. So bekommen zum Beispiel schon 15-jährige SchülerInnen eine 20-seitige Broschüre, die Ratschläge gibt, wie eine Bewerbung für eine Lehrstelle in die entsprechende Form gebracht werden kann. Die Jugendlichen lernen, wie ein tabellarischer Lebenslauf richtig formatiert wird, wie ein gutes Bewerbungsfoto aussieht und wo es aufgeklebt werden muss, welche Angaben und Floskeln in einen Begleitbrief gehören und wie man sich bei einem Bewerbungsgespräch anständig benimmt. Natürlich sind diese Empfehlungen gut gemeint und in vielen Fällen auch hilfreich. Auf der anderen Seite wird dadurch keine einzige Lehrstelle mehr geschaffen das Gleichgewicht der Chancen eine Arbeit zu finden verschiebt sich zu Gunsten von Jugendlichen, die das Narziss-Prinzip gut verinnerlicht haben. Die Goldmund – Typen haben Mühe damit. Sie kommen unter Druck und ihr eigenes Lebens-Prinzip funktioniert dann schlecht. Würde man Goldmund einfach machen lassen, er würde seine Bewerbung vielleicht in ein Stück Rinde ritzen und bei einem von zehn Versuchen würde er damit das grosse Los ziehen. Statt dessen setzt eine verhängnisvolle Spirale ein: Je mehr Goldmund versucht sich der Narziss-Welt anzupassen um so stärker kommt er unter Druck. Wenn er sich nur zusammen reißen und Disziplin entwickeln könnte! Disziplin ist jedoch keine seiner Stärken. Die besten Möglichkeiten hätte er, wenn er eine auf seine Ressourcen zugeschnittene Strategie wählen könnte. Diese gegen alle gut gemeinten Ratschläge von Eltern, Schule und Fachleuten durchzusetzen, braucht jedoch eine große Portion Selbstvertrauen und genau dass fehlt ihm wahrscheinlich mittlerweile.

Die Goldmund – Strategie

Goldmunds große Stärke ist die Leidenschaft. Wenn er aus seiner inneren Begeisterung schöpfen kann, ist er zu vielem fähig. Mit seiner Unternehmungslust reist er dabei oft auch andere mit. Ohne dieses innere Feuer wird für ihn alles wertlos. Daher ist er schlecht durch äußere Anreize zu motivieren und schon gar nicht durch äußere Zwänge. Es bringt wenig, ihm gut gemeinte Ratschläge zu erteilen. Da in diesen Momenten für ihn keine Zukunft existiert, ist er auch zu keiner vernünftigen Planung bereit. Er rebelliert, wenn er seine Natur nicht leben kann und wenn Auflehnung oder Flucht nicht möglich sind, kapselt er sich ein. Im besten Fall entsteht dann in diesem von außen unzugänglichen Raum ein eigener Lebensentwurf, der später – unter freundlicheren Bedingungen – zum Durchbruch kommt. Im schlechtesten Fall verirrt er sich hoffnungslos in Traumwelten.

Auch die Arbeitswelt erschließt sich ihm nur über seine Begeisterung Er braucht ein stimmiges Umfeld, das er mitgestalten kann. Er geht neugierig in Erfahrungen hinein. Während Narziss eine Lehre aus Vernunft zu Ende bringt, auch wenn es ihm stinkt, verlässt Goldmund ein Lehrnfeld, wenn sein inneres Engagement erlischt. Daher ist es wichtig für ihn zu wissen, wo der Brennpunkt seiner Leidenschaft liegt. Nur so erhalten seine Sprünge und Wandlungen einen inneren Zusammenhalt, der ihm Sinn vermittelt und ihn weiter trägt.

Neue Ausbildungswege

Beide Strategien können eine erfolgreiche berufliche Laufbahn begründen. Die Karriere von Narziss wird wahrscheinlich geplant und gradlinig verlaufen. Goldmunds Lebenslauf wird größere Sprünge und Lücken aufweisen. Oft wird ein roter Faden erst aus der Rückschau sichtbar. Seine Fähigkeit sich in neuen und unbekannten Feldern zu orientieren und offen auf die Welt zu zugehen, eröffnet ihm jedoch immer wieder Möglichkeiten und lässt ihn flexibel mit den Unsicherheiten der Arbeitswelt umgehen.

Die Wirtschaft hat entdeckt, dass flexible Menschen, die kreativ auf die Welt reagieren und gut mit Neuem umgehen können, wertvoll sind. Dabei werden schon auch mal 60-jährige arbeitslose Handwerker in EDV-Schulungen gesteckt, die viel Geld kosteten, die Teilnehmer aber heillos überfordern. Gleichzeitig wird seltsamerweise jungen Menschen fast ausschließlich der Narziss-Weg vermittelt. Wenn wir die beiden Prinzipien jedoch als Lebensphasen betrachten, würden wohl die meisten Menschen das Goldmundprinzip der Jugend zuordnen.

Obwohl es innovative Ausbildungsprojekte gibt, fehlt eine Institution, die das Goldmundprinzip voll bejaht und jungen Erwachsenen die Möglichkeit gibt, aus dem Brennpunkt ihrer Leidenschaft heraus ihre ganz eigene Beruflichkeit zu entwickeln.

Es müssten dafür Räume entstehen, in denen vielfältige Erfahrungen gemacht werden können, wo Jugendliche spielerisch Projekte entwickeln, die spannender sind als Drogentrips und Computergames. Wenn in dieser Institution auch fundiert reflektiert wird, was in den gemachten Erfahrungen gelernt wurde und in welche Richtung sich diese individuellen Prozesse weiter entwickeln, kommt zugleich die Narziss-Seite zur Geltung. Dabei könnte uns das neue Berufsbildungsgesetz entgegen kommen. Es ermöglicht vielfältige Formen der Nachqualifizierung. Die jungen Leute können einige Jahre ihren Interessen und Träumen nachgehen und danach mit ein wenig Aufwand doch noch offizielle Abschlüsse erwerben.